Seit fast 60 Jahren steht Gian Paolo Barbieri an der Spitze der internationalen Mode- und Kunstfotografie. Seine Zusammenarbeit mit Valentino erfand die heutige moderne Werbekampagne neu, so dass Barbieris Arbeiten die Seiten der italienischen, amerikanischen, deutschen, russischen und französischen Vogue, L’Officiel, GQ und Vanity Fair zierten.
Barbieris bahnbrechende Kampagnen waren Gianni Versace, Giorgio Armani, Yves Saint Laurent, Gianfranco Ferrè, Valentino und Vivienne Westwood.
Als einer der vierzehn Top-Fashion-Fotografen im Stern-Magazin wurde Barbieri im Victoria and Albert Museum, in der National Portrait Gallery in London, an der MAMM in Moskau, im Nationalmuseum von Zürich, im zeitgenössischen Kunstzentrum von Wladiwostok und im Kunstforum Wien ausgestellt.
Seine stil- und anspruchsvollen Bilder wurden in mehrere Bücher aufgenommen, darunter Artificial (1982), Madagascar (1995), Tahiti Tattoos (1998), Equator (1999), History of Fashion (2001), Body Haiku (2007), Dark Memories (2013) und Skin (2015). Zuletzt hat Barbieri mit Bransilav Jankic zusammengearbeitet, um Flowers of My Life (2016) zu veröffentlichen, welches während der Mailänder Fashion Week debütierte.Das Interview führt Alessia Locatelli.
Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für Modefotografie entdeckt?
Ich habe zu Schulzeiten zusammen mit Freunden damit begonnen. Es war das erste Jahr, in dem wir Rechnungswesen hatten. Wir waren damals sechzehn Jahre alt und fotografierten immer unsere Treffen. Wir liebten das Kino und das Theater, äfften Theaterstücke, historische Gegebenheiten und Romane nach. Zudem drehten wir auch 8-mm-Filme nach. Ich habe mich auch im Filmstudio Cinecittà in Rom beworben, da ich wusste, dass es für mich nur die Welt der Fotografie und des Films gab, auch wenn ich damals noch nicht begriff, was das genau für mich bedeutete. Damit ich meine Unterkunft in Rom bezahlen konnte, machte ich mit meiner ersten Kamera Testaufnahmen für die Mitarbeiter der Cinecittà, die ich anschließend selbst entwickelte. In der Pension, in der ich wohnte, erlaubten sie mir, nachts das Bad zu benutzen. So fing ich also an, die Fotos zu entwickeln, die ich zum Trocknen unter das Bett legte und am darauf folgenden Morgen abgab. Eines Tages sah jemand meine Aufnahmen und berichtete meinem Vater davon. Dieser wollte sie daraufhin sehen und obwohl sie sehr amateurhaft waren, sagte er zu mir: „Du besitzt ein unfassbares Feingefühl und bist für die Modewelt gemacht.“ Ich war verblüfft. Von Mode hatte ich keine Ahnung. In Italien gab es den Begriff Fashion noch gar nicht. Magazine kauften ihre Fotografien schon fertig aus Frankreich. Nach meiner Rückkehr nach Mailand erhielt ich eines Tages einen Brief mit der Aufforderung, mich um 11 Uhr morgens bei Tom Kublin, dem damaligen Fotografen von Harper’s Bazaar America, in Paris vorzustellen, um ihm bei der Zusammenstellung der Kollektion zu assistieren. Es waren die 20 härtesten Tage meines Lebens, aber hierbei lernte ich alles über Fotografie und Mode. Wir arbeiteten nachts, da die Kleidungsstücke tagsüber den Käufern zur Verfügung stehen sollten. Als Kublin krankheitsbedingt ausfiel, war ich anfangs wie gelähmt. Aber dann entschied ich mich dazu, nach Mailand zurückzukehren, wo ich Räumlichkeiten in einem Dachgeschoss kaufte und mein eigenes Studio eröffnete: Studio Barbieri. Das war der Beginn meiner Karriere.
Wie sehr hängen die einzigartige Ästhetik und die Atmosphäre Ihrer Fotos – häufig Außenaufnahmen – mit Ihrer Erfahrung als Theaterschauspieler und später mit Ihrer Nähe zu Filmen von Luchino Visconti und Federico Fellini zusammen?
Die italienische Filmindustrie mit dem Neorealismus von Visconti, Pasolini, und Rossellini hat mir geholfen, zu begreifen, dass sich mit nur wenigen Mitteln Meisterwerke erschaffen lassen. Die amerikanische Filmindustrie, die noch mehr Möglichkeiten bot, hat mir hingegen gezeigt, wie wichtig die Beleuchtung, die Position der Kamera und die verwendeten Objektive sind.
Gibt es einen Fotografen aus Ihrer Vergangenheit, der Sie inspiriert hat?
Mein Mentor, der mich stark geprägt hat, ist Richard Avedon. Also habe ich zu mir gesagt: „Ich gehe zu Avedon, ich möchte es verstehen.“ Ich bin nach Amerika gegangen, aber Avedon hat mich nicht empfangen. Fünfzehn Jahre später habe ich Avedon getroffen, als ich wegen eines Katalogs in Paris war und er im selben Studio arbeitete. Als “Vogue“ und “Bazaar America“ mit Avedon zusammenarbeiteten, wollten sie alle Studios nur für ihn. Ich war mit meiner Arbeit noch nicht fertig und traf im Gang auf die Direktorin von “Vogue America“. Sie fragte mich, ob ich „Herr Barbieri“ sei. Ich drehte mich zu ihr um und hinter ihr stand Avedon. Er kam näher und sagte zu mir: “Ich wollte Sie kennenlernen, Herr Barbieri, da ich sie sehr bewundere. Ich sammle alle Ihrer schönsten Fotos.“ Jahre später erklärte mir Isa Stoppi, dass Avedon einige ihrer Fotos im Studio hatte, die von mir geschossen wurden und er sagte ihr: “Ich kann dich nicht länger fotografieren, denn ich kann niemals solche Fotos von dir aufnehmen, wie Barbieri es geschafft hat”.
Welcher Auftrag brachte Ihnen den Durchbruch?
1962 arbeitete ich für das Magazin “Novità”. Kurz darauf wurde daraus “Vogue Italia” und 1965 fotografierte ich das erste Cover dafür. Wie es der Zufall wollte, waren die Editoren des Magazins beeindruckt von der Qualität meiner Bilder und meinem modernen Stil, den man zuvor so nicht kannte.
Durch Ihre Arbeit für Vogue Italien, USA und Frankreich hatten Sie die Möglichkeit, einige der schönsten Models und Diven unserer Zeit zu verewigen: Audrey Hepburn, Jerry Hall, Vivienne Westwood, Eva Malstrom, Aly Dunne, Mary Jonasson, Veruschka, Anjelica Huston sowie die Italienerinnen Isa Stoppi, Ivana Bastianello und Monica Bellucci. Gibt es unter diesen Namen eine Person, die Sie sehr gerne mehrere Male verewigt haben oder gibt es ein Ereignis, an das Sie sich gerne zurückerinnern und mit uns teilen möchten?
Ich hatte großes Glück, in einer Zeit gearbeitet zu haben, in der Models noch Models waren. Damit meine ich, dass es eine große Vielfalt gab und jedes Model seine eigene Persönlichkeit hatte. Es war genauso wie mit den Schauspielerinnen. Viele hatten ihre Makel, die sich schlussendlich als Vorzüge herausstellten. Mir gefielen ausdrucksstarke, interessante wenn auch undefinierte, schöne Gesichter. Models besaßen viel mehr Hingabe für ihre Arbeit, sie liebten ihre Arbeit mehr und waren auch dazu bereit, unbezahlte Probeaufnahmen machen zu lassen. Und dann kam der Einbruch dadurch, dass die Modedesigner anfingen, ihnen mehr zu zahlen und so haben auch sie ihren Wert erkannt. Die Models von früher waren Frauen. Ihre Körper hatten viel mehr Rundungen und waren anders gebaut. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verändern sich die Frauen in der Modewelt, sowohl ästhetisch als auch körperlich. Heute sind sich die Models leider alle ziemlich ähnlich. Sie haben weniger Persönlichkeit und sind weniger kultiviert.
Mit Stars zu arbeiten, war für mich sehr einfach. Alle waren sehr freundlich und haben gerne mit einem zusammengearbeitet. Monica Bellucci war gerne dazu bereit, sich unverhüllt ablichten zu lassen. Auch wenn Sie zu Beginn der Fotosession nicht wollte, fühlte sie sich anschließend wohl dabei, Nacktaufnahmen von sich machen zu lassen, nachdem sie meine Testaufnahmen gesehen hatte. Ich hatte das Glück, Anjelica Huston während ihrer kurzen Karriere als Model kennenzulernen. Sie war sehr einfühlsam und war für jede Situation geeignet. Dazu konnte sie sich auch sehr gut schminken. Jerry Hall war die Verkörperung der Sinnlichkeit. Ich erinnere mich noch daran, dass sie ihre Haare viel bewegt hat, was sie unglaublich sexy machte. Als ich 1969 Audrey Hepburn in Rom fotografierte, erschien sie mit Pantoffeln, damit sie, wie sie sagte, nicht meine weiße Hohlkelhle auf der wir fotografierten schmutzig mache. Das ist ein Beispiel für die entstandene Zusammenarbeit, die dazu diente, ein ästhetisches und qualitativ hochwertiges Ergebnis zu erzielen. Das Resultat ist eine Synergie zwischen der abgelichteten Person und dem Fotografen.
Welches Papier von Hahnemühle stimmt am ehesten mit Ihren Vorstellungen und fotografischen Leistungen überein?
Es gibt insgesamt drei Papierarten von Hahnemühle, die ich schon immer für meine Fotoausdrucke verwende: PhotoRag 308 g, Fine Art Baryta 325 g und William Turner 310 g. Letzteres nutze ich vor allem für Schwarzweißaufnahmen, da ich damit die sattesten Schwarztöne, die richtige Brillanz und die längste Lebensdauer für meine fotografischen Werke erhalte.
Möchten Sie uns vielleicht verraten, woran Sie momentan arbeiten?
Derzeit arbeite ich an einem persönlichen Projekt, bei dem ich mich an den englischen Poeten William Shakespeare anlehne. Es umfasst Zitate der berühmtesten Tragödien, Persönlichkeiten, Szenen und Sonette 400 Jahre nach seinem Tod.
Zudem können Sie jetzt im Buchhandel “Fiori della mia Vita” (Blumen meines Lebens) finden, ein Fotobuch, in dem meine Aufnahmen durch die Gedichte von Branislav Jankic begleitet werden. Die Originalaufnahmen wurden in meinem Studio ausgestellt und auf das Papier FineArt Baryta von Hahnemühle gedruckt. http://fioridellamiavita.com/exhibition
Die interessanteste Neuigkeit ist jedoch mit Sicherheit die Gründung der Stiftung Gian Paolo Barbieri im Januar 2017 für die Verbreitung der Arbeit und des Namens des internationalen Fotografen. Zudem setzt sie sich für die Förderung von Fotografie und Kunst bei den jüngeren Generationen ein. Sie organisiert Auszeichnungen, Wettbewerbe, Workshops und all das, was, einen Bezug zur sichtbaren Kultur hat – immer in den kreativen Fußstapfen von Gian Paolo Barbieri. Die Stiftung fungiert zudem als Kontroll-, Schutz- und Entscheidungsorgan für das gesamte Studiomaterial gemäß der international geltenden Erhaltungs- und Qualitätsstandards. Das Projekt entstand unter anderem durch die Notwendigkeit, mein Archiv zu bewahren, das einen wichtigen Bestandteil für die Geschichte der Mode und Ästhetik von 1960 bis heute darstellt. Es ist ein wichtiges visuelles Erbe, das bewahrt werden muss.
http://www.gianpaolobarbieri.com
Header Image: Simonetta Gianfelice for Valentino – Rome 1983